Mut und Model

Wir leben in parallelen Welten. Das merke ich im Freundeskreis, der noch nie oder ganz selten die Castingshows des Privatfernsehen einschaltet. Anders als ich, denn ich interessiere mich nun einmal für alles, was zum Zeitgeist gehört. Ich will auch wissen, welche Informationen, Gefühle, Sitten durch hohe Quoten vielen Zuschauern angetragen werden. Manche Freunde fragen mich nach solchen Sendungen aus, als hätte ich ein gefährliches Gebiet durchquert.
Aber manchmal steht mir der Mund wegen der Schamlosigkeit offen, wenn zum Beispiel bei „Supertalent“ ein Mann „An der schönen blauen Donau“ furzt. Man kann sehen, wo genau die Töne herkommen. Das Banale, Obszöne, Dumme stürzt dem Rappen Kay One aus dem Hirn, der bei „Deutschland sucht den Superstar“ eine sehr junge Frau für „Titten, Arsch und Stimme“ lobt.
Auf einer ganz anderen Ebene denke ich über die letzte, die 9. Staffel von „Germany’s Next Topmodel“ nach. Beim Halbfinale endete für Aminata Sanogo, 18 Jahre alt, geboren in der Elfenbeinküste, wohnend in Bergisch Gladbach, der Wettbewerb. Vorausgegangen war ein Tränenausbruch vor der Jury und ein Kollaps in der Garderobe: Aufregung, Asthmaspray, Notarzt. Mit Krankheit und zu viel Stress erklärte auch das kämpferische, stolze Mädchen den Vorgang. Dass Aminata seit Wochen auf Internetforen und ihrer eigenen Facebook-Seite wegen ihrer afrikanischen Herkunft und Hautfarbe niedergemacht wurde, blieb in der Sendung unerwähnt. „Gorillafresse“, „DAS ist doch kein Topmodell. DAS gehört vergast“, „Scheiße, ist die hässlich“, „Topmodell-Baumwollpflückerin“, „Geh zurück in deinen Busch!“ Das hat Aminata gelesen und lange ausgehalten. Für die Jury und den Sender Pro7 galt, jedenfalls öffentlich: Tot stellen, Themenwechsel, Tabu. Beim Finale wie immer live 16.000 Zuschauer in der Halle, spektakuläre Technik, Aufwand mit schönen Kleidern, danach läuft live das Magazin „red“ mit immer lächelnder Moderatorin. Auch Aminata wird zum Interview gebeten, banale Fragen, ausweichende Antworten, eine völlig überflüssige Szene. Vielleicht sollte der Angespuckten ein kleiner Auftritt geschenkt werden.
Es ist erstaunlich, wie wenig die Sender drauf vorbereitet sind, dass die wirkliche Welt in sie einbricht. Aminata hat sich entschlossen, die grausamen Kommentare nicht zu löschen, in dieser Geschichte ist sie die einzige, die Mut beweist.

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