Heute geht es um Vorbilder, wir fangen mal mit einem Witz an: “Ich bin ein echtes Vorbild”, sagt ein junger Mann. “Ich rauche nicht, ich trinke nicht, bin meiner Freundin treu, gehe abends um zehn schlafen, stehe früh um sechs auf und arbeite den ganzen Tag.”
Sein Mitbewohner nickt und setzt den Gedanken fort:
“Aber wenn wir aus dem Knast raus kommen, hört das auf!”
Ja, ein Vorbild hat es leichter, wenn es keinen Anfechtungen ausgesetzt ist.
Das Vorbild ist auf der einen Seite sehr wichtig: Die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich hielt Vorbilder für ein menschliches Urbedürfnis. Neurowissenschaftler bestätigen heute den positiven Einfluss: Schon bei dem Gedanken an ein Vorbild werden Betroffene motivierter. Denn nur wenn Gefühle auf Trab kommen, ändere sich das Verhalten. Auf der anderen Seite haben Vorbilder seit Monaten schlechte Presse, es heißt, sie würden zerbröseln und stürzen, bekannte Namen fallen. Einige Kollegen stellen in kulturkritischen Essays fest: Das Vorbild ist in der Krise.
Abwarten.
Repräsentative Umfragen zeigen haltbare Maßstäbe: Mutter Teresa, Nelson Mandela, Albert Schweitzer, Gandhi, der Dalai Lama – das sind Menschen über die man von fern viel Gutes gehört hat. Die größte Überraschung war für mich die Position der Eltern auf der Rangliste: Auf Platz 1 die Mutter, auf Platz 3 folgt der Vater nach Mutter Teresa. Irgendwie rührend und tröstlich, weil sich die Eltern doch in ewigen Auseinandersetzungen über Jahre als ein Vorbild behaupten müssen. Natürlich habe ich sofort meine Tochter, heute 35, gefragt, ob sie ein Vorbild habe. „Auf Anhieb nicht“, sagte sie. Ich lenkte sie in eine bestimmte Richtung: „Und wie ist es mit deiner Mutter?“ Sie antwortete sachlich: „In manchen Sachen ja, in manchen Sachen nein.“ Ich vertiefte das Thema nicht weiter.
Mich beunruhigen die Forschungsergebnisse über die Bedeutung eines Vorbilds. Ich selber habe nämlich keins, aber manchmal tue ich so: „Du bist mein großes Vorbild“, sage ich zu meinem Kollegen Arno, nur weil der in dreißig Minuten einen Leitartikel schreiben kann. Mein großes Vorbild nenne ich auch Menschen, die nachts sicher Auto fahren, seit Jahrzehnten eine glückliche Ehe führen oder jeden neuen Tag mit dem Sonnengruß beginnen. Es geht um Details, die ich nicht hinkriege.
Vorbilder werden geachtet, Idole werden vergöttert. Erklären kann man es nicht.
Als Reporterin buchte ich vor Jahren eine „Diana-Walking-Tour“ in England und lebte zwei Tage unter Verrückten. Eine Frau fühlte eine Lähmung ihrer Beine, weil eine unsichtbare Barriere am Geburtshaus der Prinzessin stand. Eine andere, sie hatte schon mehrmals an der Tour teilgenommen, warf ihr ganzes Geld zum Fenster raus. Sie kaufte jeden Monat Gedenkbriefmarken, jeden zweiten Monat einen Gedenkteller und wöchentlich bis zu zehn Zeitschriften, die sie auf eine Erwähnung der Prinzessin hin durchsuchte. Bei jeder Station unserer Tour hinterlegte sie weiße Rosen. Die füllige Frau von Ende 50 wollte gerne auch aussehen wie Diana, möglich geworden war nur die gleiche Frisur.
Eine andere Kategorie im Bewunderungsgeschäft sind Trash-Prominente, die nichts können. Als Kreationen des Privatfernsehens wurden sie berühmt. Der Schäfer Heinrich singt verschwitzt und falsch am Ballermann. Die Geissens sind reiche Prolls, die ihr Personal schlecht behandeln. Micaela Schäfer zieht sich überall zwanghaft aus, Gina-Lisa hat dicke Lippen und vorspringende Brüste. Die einfältige Georgina findet sich als Einzige toll. Solche Flachzangen bekommen für jeden Auftritt einen Haufen Geld. Wahrscheinlich glauben sie, dass jemand, der so viel Kohle verdient, nicht dumm sein kann. Keiner meiner vornehmen Freunde kennt diese Leute. Sie hören aber alle gerne zu, wenn ich aus der Parallelwelt erzähle.
Ganz früher hatte ich auch ein Vorbild, die Cousine meiner Klassenkameradin Eva Friedrichsen: Das war Rosi – grazil, Katzenaugen, lange, dunkle Locken. So wollte ich später auch aussehen.
Rosi war sechzehn. Eva und ich waren zwölf. Einmal erzählte mir Eva im Vertrauen, dass Rosi was Verbotenes mit Jungs mache. „Was denn?“ Eva legte los: Rosi würde sich im Bett nackt auf den Rücken legen, und neben dem Bett müssten zwei Hocker stehen. „Warum?“ Auf denen würde Rosi die Beine ablegen. „Und dann?“ Aber mehr Informationen hatte Eva dann auch nicht. Rosi ist knapp vor dem Mauerbau in den Westen abgehauen. Bis heute weiß ich nicht, wofür diese beiden Hocker gut gewesen sein könnten.
Brigitte Woman 09/13, April 2014 bearbeitet